Vielen von uns sind die Eichennetzwanzen in den letzten Tagen begegnet: draußen in der Natur, am Balkon, auf der zum Trocknen aufgehängten Wäsche, selbst in der Wohnung. Oder ganz hautnah: Wenn sie probieren, ob es an uns was zu saugen gibt, kann das kurz ein wenig schmerzhaft werden. Im Internet kursieren sogar Berichte von Juckreiz und Rötungen. Aber das scheint es dann auch schon gewesen zu sein. Denn „die invasivste Art Mitteleuropas“, wie Gernot Kunz sagt, hat es nicht auf den Menschen abgesehen, sondern – wie ihr Name schon verrät – auf unsere Eichen. „Deren Blätter werden dadurch jetzt schon bräunlich“, beobachtet der Insektenforscher vor dem Institut für Biologie der Uni Graz. „Zu Tausenden saugen sie an den Blattunterseiten. Allerdings nur auf der Stieleiche, ironischerweise nicht auf der Amerikanischen Roteiche dahinter“, so Kunz.
Auf dem Vormarsch
2019 wurde die Amerikanische Eichennetzwanze (Corythucha arcuata) erstmals in Österreich in der Südoststeiermark entdeckt. Gernot Kunz vermutet aber, dass sie dort damals schon weit verbreitet war. „Wir sind viel zu wenige Expert:innen auf diesem Gebiet und schaffen es gar nicht, alles im Blick zu haben“, erklärt der Forscher. Der erste europäische Nachweis stammt aus dem Jahr 2000 in Italien. Inzwischen hat sich die Art in Süd- und Südosteuropa breit gemacht. Eingeschleppt wurde sie wahrscheinlich unter anderem mit Holztransporten. Nun reist sie auch mit dem Wind. Selbst können die Wanzen nicht besonders gut fliegen.
„In den kommenden Jahren werden sie in Österreich noch deutlich weiter nach Norden und Westen vordringen. Je größer das Vorkommen heimischer Eichen, desto stärker wird sich der Schädling ausbreiten“, prognostiziert Kunz. Warum ihre Zahl gerade heuer so stark explodiert, liegt wohl am warmen Winter und dem Mangel an natürlichen Feinden. „Die Exemplare, die wir jetzt an den Blättern sehen, sind bereits die zweite oder dritte Generation in diesem Jahr. Weitere können noch folgen“, meint der Biologe. Wanzen durchlaufen gewöhnlich fünf Nymphenstadien, bis sie flugfähig und geschlechtsreif werden. Im Falle der Eichennetzwanze dauert es vom Schlupf aus dem Ei bis zur erneuten Eiablage etwa einen Monat.
Noch nicht zu stoppen
„Der größte Feind der invasiven Art sind Kälteperioden mit länger anhaltenden, sehr tiefen Temperaturen. Aber die haben wir immer seltener“, nennt der Wissenschaftler einen Hauptgrund für ihre rasante Vermehrung. Gefressen werden die Schädlinge von Vögeln und Spinnen, weiß der Biologe. Eventuell auch von bestimmten Insektenlarven, den sogenannten Blattlauslöwen. Beweise dafür gebe es bei uns aber noch nicht. Spürbar dezimieren könnten sie nur auf Eichennetzwanzen spezialisierte Räuber und Parasiten. Solche kenne man hier bislang nicht. „Sie werden aber sicher kommen“, ist Kunz überzeugt. „So wie beim Asiatischen Marienkäfer oder der eingewanderten Grünen Reiswanze. Das Ökosystem wird sich auf den Eindringling einstellen. Doch dazu braucht es noch einige Jahre“, schätzt der Biologe. In Nordamerika verhindern andere räuberische Wanzenarten und vor allem kleine parasitische Wespen die starke Ausbreitung von Corythucha arcuata.
Und bis dahin? Kunz warnt vor der Giftkeule: „Der Einsatz von Insektiziden ist strengstens zu vermeiden, da diese unspezifisch wirken und durch den Wind vertragen werden.“ Stattdessen sollte man auf natürliche Feinde warten und dann gegebenenfalls etwas nachhelfen: „Aus Nordamerika ist zum Beispiel eine spezialisierte, parasitische Wespe bekannt. Wenn eine Zucht gelingt, könnte man diese aktiv zur biologischen Schädlingsbekämpfung einsetzen.“ Das müsse jedoch zuvor von der AGES, der österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit, genehmigt werden. „Wichtig ist sicherzustellen, dass diese Wespen nicht auch unsere heimischen Netzwanzen befallen. Von denen gibt es fast 70 zum Teil sehr seltene und aus Naturschutz-Sicht relevante Arten“, erklärt Kunz.
Folgen für die Natur
Unser Wald wird es überleben, ist der Biologe überzeugt. „Befallene Eichen sterben nicht, auch wenn die Schäden an ihren Blättern zu einer deutlich verringerten Photosynthese-Leistung und somit zu vermindertem Wachstum führen. Viel stärker gefährdet sind insbesondere junge Eichen durch eine hohe Dichte an Wild, vor allem an Rehen“, gibt der Biologe zu bedenken. Dass zukünftig auch noch andere Baumarten vom nordamerikanischen Schädling in diesen Dichten befallen werden, hält Kunz für eher unwahrscheinlich. „Es kommt nur sehr selten vor, dass eine auf eine Pflanze oder Pflanzengattung spezialisierte Spezies einen Wirtswechsel durchführt. Wenn man sie, so wie jetzt, auch auf anderen Bäumen und Sträuchern sieht, ist wohl einfach der Wind dafür verantwortlich. Meldungen von Beobachtungen auf Edelkastanie und Spitzahorn müssen erst verifiziert werden.“ Mit Blick auf die zukunftsorientierte Forstwirtschaft sieht der Forscher die Gefahr, dass man stärker auf die aus Nordamerika stammende Roteiche setzen wird, statt, wie ursprünglich geplant, auf heimische Eichen. Denn erstere wird von Corythucha arcuata verschont.
Wer besonders stark unter der massenhaften Ausbreitung der Amerikanischen Eichennetzwanze leidet, ist die heimische Insektenwelt. . Da die von den Invasoren besaugten Blätter schon im Sommer braun werden, würden sie vor allem Blattzikaden und Weichwanzen im Herbst nicht mehr als Nahrung zur Verfügung stehen. „Als wir kürzlich eine Eiche abgekeschert haben, fehlten diese Insekten in unseren Netzen bis auf ganz wenige Exemplare. Das war früher anders. Interessant wäre, die aktuelle Situation und die weitere Entwicklung in einem Gebiet zu untersuchen, das demnächst von den Eichennetzwanzen überschwemmt werden wird, wie zum Beispiel Oberösterreich“, regt Kunz dringend notwendige Forschungen an.